Empfindungsstörungen nach Schlaganfall

Das Wichtigste in Kürze:

  • Empfindungsstörungen sind eine sehr facettenreiche Folge des Schlaganfalls. Hinter diesem Begriff stecken verschiedene Phänomene wie Missempfindungen, Sensibilitätsstörungen oder das zentrale Schmerzsyndrom nach einem Schlaganfall.
  • Der Zeitpunkt, zu dem die Missempfindungen auftreten, sowie die Dauer, Ausprägung und Intensität unterscheiden sich erheblich.
  • Die häufigsten Sensibilitätsstörungen, die nach einem Schlaganfall auftreten, werden als Kribbeln, Stechen oder Brennen beschrieben, das meist in den Armen, seltener in den Beinen oder anderen Körperregionen auftritt.
  • Betroffene können ihre Empfindungsstörungen häufig selbst lindern, zum Beispiel durch Massage des entsprechenden Bereichs, durch regelmäßige Bewegung oder durch Entspannungstechniken.

Was sind Empfindungsstörungen?

Viele Betroffene leiden nach einem Schlaganfall unter Empfindungsstörungen. Medizinisch werden diese als Sensibilitätsstörungen bezeichnet. Zu den Sensibilitätsstörungen gehören Hypästhesien, also eine herabgesetzte Empfindlichkeit gegenüber Berührung oder anderen Reizen. Ebenso gehören Empfindungsstörungen dazu, bei denen ein Gefühl entsteht, das nicht zu dem auslösenden Reiz passt.

Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall können in unterschiedlichen Formen auftreten: als kribbelndes, stechendes, brennendes oder taubes Gefühl in bestimmten Körperregionen. Wie auch andere Schlaganfallsymptome treten diese Missempfindungen häufig einseitig auf.

Die Symptome werden dabei oft „über Kreuz“ verursacht. Das heißt, ein Schlaganfall in der linken Gehirnhälfte verursacht Missempfindungen der rechten Körperseite und andersherum. Es können unterschiedliche Regionen des Körpers entweder alleine oder kombiniert betroffen sein: Gesicht, Rumpf, Arme und Beine.

Auch ein brennendes und stechendes Schmerzgefühl kann durch einen Schlaganfall verursacht werden. Vor allem, wenn der Thalamus vom Schlaganfall betroffen ist. Man spricht dann auch vom thalamischen Schmerzsyndrom. Der Thalamus liegt oberhalb des Hirnstamms tief in der Mitte des Gehirns. Er ist die zentrale Schaltstation für alle Reize, die in das Gehirn gelangen. Aufgrund seiner besonderen Funktion wird er auch als „Tor zum Bewusstsein“ bezeichnet.

Im Thalamus werden Schmerzreize auf ihrem Weg von der Peripherie ins Gehirn umgeschaltet und abgewandelt. Wird diese schmerz-modulierende Wirkung durch einen Schlaganfall beeinträchtigt, dann ist das thalamische Schmerzsyndrom die Folge. Dieses Symptom nach einem Schlaganfall ist zwar seltener als die anderen Formen der Missempfindungen, kann aber sehr belastend sein und ist schwierig zu therapieren.1

Empfindungsstörungen sind sehr individuell: Zeitpunkt, Dauer, Ausprägung und Intensität unterscheiden sich von Mensch zu Mensch. Auch können sich die Empfindungsstörungen eine Zeit lang verbessern oder sogar ganz verschwinden und zu einem späteren Zeitpunkt wieder auftreten.

Symptome – Wie äußern sich Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall?

Die Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall haben viele Facetten. Nach dem Empfinden der Betroffenen werden sie häufig folgendermaßen beschrieben:

  • Kribbeln: Schlaganfallbetroffene beschreiben vielfach ein Kribbeln, das mit dem Laufen von Ameisen über die Haut oder kleinen elektrischen Impulsen verglichen wird.
  • Brennen: Das brennende Gefühl wird oftmals mit einem Hitze- oder Feuergefühl gleichgesetzt.
  • Stechen: Das stechende Gefühl wird als scharfer Schmerz beschrieben, wie durch Nadel- oder Messerstiche.
  • Einschießende Schmerzen: Betroffene beschreiben diese als plötzliches Zucken oder einen Blitzschlag im Körper.
  • Klopfender Schmerz: Dieser Schmerz wird häufig als pulsierender Druck von innen gegen die Haut beschrieben. Auch Vergleiche mit pochenden Zahnschmerzen, nur in Armen oder Beinen, werden geschildert.
  • Taubheit: Betroffene schildern, dass die entsprechende Körperregion sich wie tot oder nicht existent anfühlt. Häufig wird dies mit dem Gefühl nach einer lokalen Betäubung verglichen, zum Beispiel wie beim Zahnarzt. 
  • Pelzigkeit: Die betroffene Körperstelle fühlt sich wattig und dumpf an.
  • Stumpfer Schmerz: Ein stumpfer Schmerz wird als diffuser, nicht örtlich begrenzter, schwer fassbarer Schmerz beschrieben.
  • Spannungsgefühl: Dieses Gefühl wird gerne so beschrieben, als würde man die Haut mit Daumen und Zeigefinger straff ziehen, also spannen. Auch wird das Spannungsgefühl hin und wieder so empfunden, als wäre die Haut gequetscht worden.
  • Druckgefühl: Betroffene beschreiben dieses Gefühl, als würde ein Gewicht auf der entsprechenden Körperregion aufliegen.
  • Kälte- oder Hitzegefühl: Dieses tritt ohne erkennbare äußere Temperatureinwirkung auf.
  • Ziehender Schmerz: Dieser fühlt sich für Betroffene so an, als würde jemand vom Körperinneren her an der entsprechenden Stelle ziehen oder zerren.

Ursachen – Wie entstehen Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall?

Die genauen Mechanismen der Entstehung von Missempfindungen nach einem Schlaganfall sind noch nicht vollständig bekannt. Wissenschaftler nehmen an, dass die Schädigung spezifischer Hirnregionen die normale Verarbeitung von Sinnesreizen beeinträchtigt. Je nach der vom Schlaganfall betroffenen Hirnregion und den darin liegenden Nervenbahnen können die Empfindungsstörungen unterschiedlich ausfallen.

Sensibilitätsstörungen treten meist dann auf, wenn durch den Schlaganfall Hirnregionen und Strukturen betroffen sind, die für die Verarbeitung sensorischer Reize verantwortlich sind. 

Der Thalamus dient als wichtige Sammel- und Umschaltstation für Sinnesinformationen

Der Thalamus ist die größte Ansammlung von Nervenzellen im Kernbereich des Zwischenhirns. Er ist für die Weiterleitung nahezu aller Reize verantwortlich, die von den menschlichen Sinnesorganen wahrgenommen werden. Diese bezeichnet man als sensorische Reize.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass Betroffene mit einem Thalamusinfarkt besonders häufig und intensiv unter Missempfindungen leiden. Etwa 80 bis 90 Prozent der Menschen nach einem Thalamusinfarkt sind von sensorischen Störungen betroffen. 25 Prozent leiden unter oft starken neuropathischen Schmerzen. Zu den charakteristischen Sensibilitätsstörungen nach einem Thalamusinfarkt zählen:

  • Taubheit
  • Kribbeln
  • Brennen
  • Stechen
  • Spannungsgefühl
  • Zentrale neuropathische Schmerzen

Die als Dysästhesie bezeichnete Fehlwahrnehmung von unangenehmen Reizen wie Kribbeln, Stechen oder Brennen tritt hierbei häufig in Kombination mit einer gesteigerten Empfindlichkeit – der Hyperästhesie – auf. Werden zusätzlich selbst leichte Berührungen als unangenehm oder gar schmerzhaft empfunden, spricht man von einer Allodynie. Nicht selten kommt es bei einem Infarkt in der Thalamusregion auch zu einer Beeinträchtigung des Druck-, Temperatur- und Vibrationsempfindens.

Die Missempfindungen nach einem Thalamusinfarkt unterscheiden sich meist von denen, die bei Infarkten in anderen Hirnregionen auftreten: Sensorische Störungen treten nach einem Schlaganfall in der Großhirnrinde deutlich seltener auf. Überwiegend sind diese auch unspezifischer und variieren stärker. Zudem treten die sensorischen Störungen bei einem Schlaganfall in der Großhirnrinde oft in Kombination mit motorischen Störungen auf.

Die Empfindungsstörungen nach einem Thalamusinfarkt nehmen also eine Sonderposition ein.

Wann treten Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall üblicherweise auf?

Der Zeitpunkt, zu dem die durch den Schlaganfall verursachten Missempfindungen auftreten, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch.

Zentrale Schmerzsyndrome wie der thalamische Schmerz treten typischerweise etwa 3 bis 6 Monate nach dem Schlaganfall auf. Sie können in einigen Fällen aber auch früher oder später auftreten. Viele Betroffene äußern Sensibilitätsstörungen auch unmittelbar nach dem Schlaganfall. Besonders Hypästhesien, also die verminderte Wahrnehmung von Berührung und anderen Reizen, werden oft unmittelbar durch die aus dem Schlaganfall resultierende Hirnschädigung ausgelöst.

Wie werden Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall behandelt?

Die Behandlung der Sensibilitätsstörungen nach einem Schlaganfall richtet sich vor allem nach der Art der Missempfindung.

Behandlung mit Medikamenten

Schmerzmittel

Paracetamol und nichtsteroidale entzündungshemmende Medikamente (NSAID) wie Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder Diclofenac können bei leichten bis mäßigen Schmerzen helfen. Diese können beispielsweise durch Verspannungen bei Bewegungseinschränkungen oder Fehlhaltungen nach einem Schlaganfall entstehen. Zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eignen sie sich jedoch in aller Regel eher nicht.6

Medikamente zur Behandlung neuropathischer Schmerzen

Medikamente zur Behandlung von Epilepsien, sogenannte Antikonvulsiva, werden auch bei der Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt, wie sie durch schlaganfallbedingte Schädigungen entstehen können. Zu diesen Medikamenten zählen beispielsweise Gabapentin und Pregabalin. Auch Antidepressiva wie Amitriptylin oder Duloxetin werden neben ihrer Wirkung bei Depressionen zur Behandlung neuropathischer Schmerzen verwendet.6

Starke Schmerzmittel (Opioide, Opiate)

Morphinähnliche, starke Schmerzmittel, wie beispielsweise Tramadol oder Oxycodon, können in schweren Fällen verordnet werden. Die Einnahmedauer sollte jedoch so kurz wie möglich gehalten werden, um Abhängigkeiten zu vermeiden und Nebenwirkungen gering zu halten.6

Behandlung mit schmerzlindernden Cremes

Für die örtlich begrenzte Schmerzlinderung eignet sich in einigen Fällen eine Creme mit Wirkstoffen wie zum Beispiel Lidocain.

Behandlung mit Physiotherapie und Ergotherapie

Elektrotherapie

Zur Schmerzbehandlung, Muskulaturstärkung und Durchblutungsförderung kann eine Reizstromtherapie erfolgen. Ein spezielles Verfahren, die transkutane elektrische Nervenstimulation, kurz TENS, eignet sich hierbei besonders. Sie ist vor allem für die Behandlung von Schmerzen über einen längeren Zeitraum geeignet und kann nach physiotherapeutischer Anleitung auch selbst angewendet werden.7

Rehabilitative Übungen

Ergotherapie kann dabei helfen, das Wahrnehmungsvermögen nach einem Schlaganfall zu fördern. Hierzu gibt es spezielle Übungen, die die sensorische Wahrnehmung wiederherstellen können. Ein Beispiel hierfür ist die Sensibilitätsschulung mit Materialien unterschiedlicher Beschaffenheit. Von den Betroffenen werden beispielsweise warme, kühle, harte oder weiche Materialien erspürt. Die Übung kann mit offenen und mit geschlossenen Augen durchgeführt werden.8

Psychologische Behandlungsstrategien

Entspannungstechniken

Entspannungstechniken aus der psychologischen Praxis können dabei helfen, Schmerzen zu lindern und Stress abzubauen. Häufig kommen gezielte Atemübungen, progressive Muskelentspannung, autogenes Training oder meditative Ansätze zum Einsatz.

Kognitive Verhaltenstherapie

Durch kognitive Verhaltenstherapie kann die Wahrnehmung und das Verhalten der Betroffenen gegenüber ihren Missempfindungen nach dem Schlaganfall positiv beeinflusst werden. Negative Gedankenmuster, die im Zusammenhang mit den Missempfindungen stehen, können erkannt und gezielt abgeändert werden. Auf diese Weise können Betroffene lernen, ihre veränderten Empfindungen besser zu akzeptieren und ihre Lebensqualität zu verbessern.

Spiegeltherapie

Die Spiegeltherapie nutzt eine als Neuroplastizität bezeichnete Fähigkeit unseres Gehirns. Beobachtet sich eine Person beispielsweise im Spiegel, während sie die Stelle ihrer Missempfindung – zum Beispiel ein Kribbeln im Arm – massiert, kann das zu einer deutlichen Linderung dieser Empfindungsstörung beitragen. Bei Missempfindungen wie Taubheit oder Kribbeln kann die Spiegeltherapie helfen, das Gehirn neu zu trainieren, damit es die betroffene Seite besser wahrnimmt.

Veränderungen im Lebensstil

Regelmäßige Bewegung

Auch regelmäßige Bewegung kann Teil der Behandlung von Missempfindungen nach einem Schlaganfall sein. Der Grund ist einfach: Die Bewegung und ein insgesamt aktiver Lebensstil fördern die Durchblutung und die Nervenregeneration. Dadurch können unangenehme Gefühlsempfindungen wie Taubheit oder Kribbeln abnehmen oder gänzlich verschwinden.

Das können Sie selbst bei Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall tun

Leichte Bewegungseinheiten: Sanfte Dehnungsübungen und Spaziergänge können Ihre Durchblutung fördern und dadurch helfen, Missempfindungen zu reduzieren. Die betroffenen Körperregionen können dabei entspannen.

  1. Übungen gegen Stress: Nehmen Sie sich Auszeiten und führen Sie gegebenenfalls gezielte Übungen aus, um Ihren Stress zu reduzieren. Das kann helfen, da Stress Missempfindungen verstärkt.
  2. Wärme- oder Kältetherapie: In einigen Fällen können Missempfindungen oder Schmerzen durch Wärme oder Kälte gelindert und die Durchblutung gefördert werden.

Sind Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall ein Zeichen für den Heilungsprozess?

Oftmals sind Schlaganfallbetroffene mit Sensibilitätsstörungen verunsichert: Sind das Kribbeln im Arm oder das Brennen im Bein ein erstes Anzeichen dafür, dass der Körper mit dem Heilungsprozess begonnen hat?

Während ein Taubheitsgefühl eher direkt auf eine Schädigung durch den Schlaganfall zurückzuführen ist, kann das Auftreten von Stechen, Brennen oder Kribbeln durchaus auf eine einsetzende Heilung hinweisen.

Auch wenn diese Formen der Missempfindung unangenehm erscheinen, kann ihr Auftreten bedeuten, dass das Nervensystem sich nach dem Schlaganfall neu organisiert und neue Nervenverbindungen entstehen. Dieses Phänomen bezeichnet man als Neuroplastizität des Gehirns. Durch diese bemerkenswerte Eigenschaft des Gehirns ist es möglich, Dinge neu oder wieder zu erlernen, die durch den Schlaganfall verloren gegangen sind.

Bei diesem Prozess ist es allerdings auch möglich, dass falsche oder übermäßige Reize erzeugt werden. Diese werden dann möglicherweise als schmerzhaft empfunden.

Wie lange bleiben die Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall bestehen?

Auf die Frage, wie lange die Empfindungsstörungen nach einem Schlaganfall bestehen bleiben, gibt es keine pauschale Antwort. Eine wichtige Rolle spielt mit Sicherheit das Ausmaß des Schlaganfalls und der dadurch ausgelösten Missempfindungen sowie die betroffene Hirnregion. Betroffene können jedoch aktiv dazu beitragen, die Dauer und Intensität der Empfindungsstörungen zu verringern.

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